Von der Entwirrung eines Blindschleichenknäuels

Patrik Thiele - Auf dem SalamanderpfadAuf dem Salamanderpfad: Gedichte und Meditationen lautet der treffende Titel des neusten Werkes des Leipziger Schriftstellers Patrik Thiele. Der 141 Seiten starke Band (unabhängig veröffentlicht) lässt sich in zwei Hälften unterteilen.

Die erste Hälfte ist in Prosa geschrieben, und doch wäre "prosaisch" eines der Adjektive, die am allerwenigsten auf den Text zutreffen. Gewagte und doch fesselnde Metaphern dominieren die impressionistischen Momentaufnahmen aus dem bunten Leben des innerlich reisenden Erzählers; dabei ist jedes Wort an seinem Platz und fließt über vor Bedeutsamkeit. Der Autor nimmt uns mit auf die vielen Stationen seines Daseins, jeder Moment scheint sich in Vergangenheit und/oder Zukunft abzuspielen und gleichzeitig auf geheimnisvolle Weise von der ewigen Gegenwart zu künden. Mal ist der Sprecher ein Erntearbeiter auf einem französischen Landgut, mal ein kleines Kind, das in einem mitteldeutschen Bergarbeiterdorf aufwächst, und mal sitzt er sinnierend mit seinen Weggefährten in seiner vorübergehenden Wahlheimat, auf einer Burgruine im Süden Deutschlands. Szenen, die irgendwie bekannt scheinen. Oftmals sind es dabei gerade die "unbedeutenden" Details, die die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Die herabgleitenden Armreifen einer vorübereilenden Frau irgendwo in Paris, der rostige Abdruck einer Reißzwecke auf einer alten Postkarte, das letzte geflüsterte Wort der Schwester vorm Einschlafen im Kinderzimmer. Die zahlreichen Übergänge zwischen den Szenen sind oft so hart und verwegen wie die rauen Bilder, mit denen fast jeder Satz angereichert ist. Und doch gelingt Thiele das Unfassbare - die Fäden zu entwirren und nachzuzeichnen, einen mystischen Rhythmus in den Bildern zu finden, die Handschrift Gottes in den eigenen Lebenslinien zu entziffern.

"Alle Punkte endlos weit.
Verbunden im Verborgenen."

Manche der dichterisch eingefangenen Momente ergeben erst im Nachhinein Sinn - wie man es von Szenen aus dem echten Leben kennt. Andere entschlüsseln sich überhaupt nicht dem Verstand. Doch das macht auch nichts. So wird der Salamanderpfad, der Anfangs so fragmentarisch scheint wie die symbolische zerstückelte Blindschleiche im Text, zu einer novellenhaften Reise, einer Suche nach dem verlorenen Gold und Schwarz der ewigen Kindheit, von göttlicher Hand in die Minuten eines Lebens eingestreut; zu einer Pilgerfahrt, die am Schluss noch lange nicht ihr Ende erreicht hat. Wie man merkt, fällt es mir schwer, darüber zu schreiben, ohne selber in einen lyrischen Ton zu verfallen...

An die Erzählung des Salamanderpfades schließen sich zwei kurze Gedichtsammlungen an, "Parkett seewärts" und "Sonne in Zungen" betitelt. Die insgesamt 50 Gedichte bestehen aus praktisch nahtlos aneinandergereihten surrealistischen Bildern; eine etwaige Entschlüsselung, sofern überhaupt möglich und gewollt, liegt nun ganz im Ermessen des Lesers. Zur Veranschaulichung ein Auszug aus einem der letzten Gedichte, "Wortlos": "Der Regen dunkelt das Gold, / bevor es unsere Schläfen berührt / auf einem Spaziergang / durch zyklische Geschichten. / Geburt und Wiedergeburt. / Die Jahreszeiten als Schals / um unseren Atem...". Selten war Dichtung dichter als hier. Auf ein Verstehen im intellektuellen Sinne bleibt kaum zu hoffen; die Bilder, die aus jedem Vers springen, muss man einfach kaleidoskopartig auf sich wirken lassen. Insgesamt sind die Gedichte im Vergleich zum längeren Prosateil des Buches nur schwer zugänglich und eher etwas für die rechte Gehirnhälfte.

Fazit: Ein reich bebildertes Stück Wortkunst; besonders der erste Teil, die nach innen gekehrte Spurensuche auf dem Pfad des Feuersalamanders, regt zum wiederholten Lesen an. Die kleinen Rechtschreibfehler, die man hin und wieder findet, sind durch das Fehlen der regulären Prüfinstanzen eines Verlags zu entschuldigen. Das Werk ist für 12 € plus Porto direkt vom Autor zu beziehen: SubThieleKunst.de.vu.

Patrick Maiwald, 21. 10. 2007

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