Schizoides Industrial-Ambient-Drama zelebriert erfolgreich das Erhabene

Sanctum - Lupus in Fabula

Die altbewährte Vermählung von Krach und Harmonie, oder von Groteskem und Schönem, trägt in der Musik der Undergroundszenen immer neue und irgendwie immer interessanter werdende Früchte. So z.B. auch Lupus in Fabula, das Erstlingswerk des schwedischen Klangquartetts Sanctum, des bekanntesten Projekts aus dem "Crescens"-Kollektiv um Jan Carleklev.

Die 14 Stücke dieses episch anmutenden Albums bieten ein Gemisch aus verschiedensten musikalischen Einflüssen, das man nirgends ein zweites Mal antreffen wird, wobei in den meisten Fällen krachiger Industrial und filigrane Streicher einander irgendwo im weiten Terrain der Ambient-Musik die Hand reichen.

Schon der Opener "Dragonfly" klingt äußerst vielversprechend, doch nach den nächsten paar Stücken wird man sich klar, dass er sogar noch mehr hätte versprechen können - auf harten, nahezu reinen Industrial ("In Two Minds", ein geniales Stück) folgt nämlich der nahtlose Übergang zu extrem ruhigem und beruhigendem Ambient, begleitet von Congas und Cello. Erstaunlich ist außerdem, dass erst in "Juniper Dream", dem vierten Stück auf der CD, der wunderschöne weibliche Gesang (für so manchen sicherlich Sanctums Hauptattraktion) zum ersten Mal in den Vordergrund tritt: Auf monotonen, ruhigen Beats und einem Sample, das nach drei Tönen aus einer gezielt verstimmten Querflöte (gibt es sowas?) klingt, schwebt graziös Lenas elfenhaft-ätherischer Gesang, was nur allzu gut zur Textzeile "I walk and leave no trace on the ground" passt. Das Stück endet mit dem von Håkan mitgesungenen trochäischen Vers "Faith is all you need to say a prayer and raise your arms and let yourself be taken" ...einfach genial.

Ein weiterer Höhepunkt des Albums ist beispielsweise "Envy", ein Stück, das auf einen Text von Hildegard von Bingen aufbaut, und das musikalisch aus zwei Teilen besteht, wobei im ersten Teil das lateinische Original und im zweiten die englische Übersetzung zu hören ist. Danach treten in der Sequenz "Too Real"/"Too Close" erneut (von den Einstürzenden Neubauten gesampleter) Maschinenlärm und Melodie sowie Hakans verzerrtes Gekreische und Lenas Gesangstimme gegeneinander an, wobei letztere diesmal eher geisteskrank als liebreizend klingt - Lena holt soviel und vor allem soviel Unterschiedliches aus sich und ihrer Stimme heraus, dass es in der Tat schwierig zu beschreiben ist.

Erwähnenswert ist neben dem wunderschönen "The Door" auch die ergreifende Ambient-Sequenz "Salvation"/"Remorse", in deren erstem Teil über die hypnotische Instrumentalmusik ein minutenlanges Sample aus dem Film The Last Temptation of Christ (das verzweifelte Gebet des gealterten Christus gegen Ende des Films) gelegt wurde, und deren zweiter Teil von Hakans Flüsterstimme dominiert wird. Der letzte Track des Albums, das eingängige, triphop-artige "Closing Remark", hört sich mit Lenas sicherer Stimme stellenweise recht radiotauglich an, allerdings verzichten Sanctum auch hier nicht auf die Zugabe einer gehörigen Portion Industrielärm.

Das Booklet ist sehr schön gestaltet und trägt durch Bilder und Textaufmachung viel zu den einzelnen Stücken und ihrer Bedeutung bei.

Neben Mental Destruction sind Sanctum wohl die einzigen Christen, die beim Industriallabel Cold Meat Industry unter Vertrag stehen. Allerdings definieren sie sich nicht als "christliches Projekt", obwohl ihren Texten, wie man an mehreren Stellen mehr oder minder deutlich erkennt, zumindest die Grundzüge christlicher Glaubensinhalte zugrundeliegen (die letzten Worte aus "Closing Remark" beispielsweise lauten: "Never let go, once you find him").

Für mich ist Lupus in Fabula mittlerweile ein wahrer Klassiker und Meilenstein der christlich inspirierten hörbaren Kunst; es bleibt zu hoffen, dass das nächste Studioalbum nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt.

Patrick Maiwald, 13. 01. 2003


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