...oder: The Long, Hard Road Out of Hell

Eva O - Damnation: Ride the Madness Inwiefern der Titel von Brian Warner alias Marilyn Mansons Autobiografie auch zu diesem Werk passen würde, zeigt sich spätestens, wenn man die Entstehungsgeschichte bedenkt:

Diese Scheibe ist nämlich der erste Teil der auf zwei Folgen angelegten Audio-Biographie von Eva O, der nicht so einfach nebenbei zu hören ist, sondern eher einer Loopingbahnfahrt der Gefühle gleicht. Musikalisch wird hier eine neue Richtung eingeschlagen, nämlich eine weitestgehend elektronische. Die Geschichte, um die es hier geht, schlägt sich darin nieder, dass musiktechnisch eine gewaltige Asymmetrie herrscht - mehr als das erste Viertel dieses gerade mal 38minütigen Werkes wird von einem langatmigen Intro in Anspruch genommen, in dem zahlreiche markerschütternde Samples über eine monotone Keyboard-Soundlandschaft verstreut liegen, während Eva selbst mit rezitativem Sprechgesang den Hörer fesselt. (Tipp: Kopfhörer benutzen!) Dabei distanziert sie sich so wenig von ihrem früheren Satanistendasein (Näheres zu ihrer Lebensgeschichte in der Rezension zu Demons Fall for an Angel's Kiss), dass der unvorbereitete Hörer mitunter den Eindruck gewinnen könnte, sie spreche mit der Stimme von heute. Immerhin wird man von Anfang an mit Phrasen wie "Lord Satan, the Executioner!" bombardiert - nicht zuletzt deswegen ist diese CD schon als "das kontroverseste christliche Album aller Zeiten" bezeichnet worden.

Nach der düsteren Einführung leitet ein Metalgitarrenriff in das aggressivste Stück, "One by One", über, in dem Eva mit teils stark verzerrter Stimme vertiefend über ihren früheren egoistischen Lebensstil singt und spricht - wiederum aus der Sicht von damals. Nach einer weiteren nahtlosen Überleitung (Josh Pyle, bekannt etwa durch das EBM-Projekt Audio Paradox, hat hier wirklich ganze Arbeit geleistet!) geht es im Seelentagebuch der Gothic-Diva mit dem clubtauglichen Darkwave-Stück "Blood Lust" weiter, das man schon vom einen oder anderen Sampler kennt. Beim Chorus flüstert übrigens kein Geringerer als Eric Clayton (Saviour Machine) mit, der das Album auch produziert hat. Nachdem der mehrstimmige Gesang der Zeile "Here comes my death..." sich langsam aufbaut und schließlich einen Höhepunkt erreicht, beschließt ein apokalytischer Glockenschlag die erste Hälfte des Albums.

Weiter geht es nach der ersten richtigen Pause mit der Akustikgitarrenballade "The Beauty of Hell", in der sich die Erzählerin erstmals vom erlebenden Ich distanziert. Doch nicht lange, denn schon nach knapp drei Minuten beginnt das Stück "Ride the Madness", bei dem Elektronik und höchste Dramatik sich erneut die Hand reichen - diesmal allerdings nicht so tanzbar wie bei "Blood Lust". Thematisiert wird hier die pseudo-freundschaftliche Beziehung zwischen der Ex-Satanistin mit dem Tod, der hier genial von ihrem jetzigen Mann Alan Clayton personifiziert und inszeniert wird ("Come, cry on my shoulder ... I'm your only friend ..." [manisches Lachen] "...why don't you die!"). Im Hintergrund dazu passend das Geschrei von Evas und Alans Baby Scarlet Dream und ein bisschen unentzifferbares Backward-Masking. In "The Devil" kommt - wen wundert es - der Leibhaftige selber zu Wort, wobei die lockenden Worte, die Eva ihm in den Mund legt, leider etwas platt daherkommen. Musikalisch ist "The Devil" ein interessantes, wiederum völlig elektronisches Stück mit für Eva O sehr ungewöhnlichen Breakbeat-Elementen.

"Complete Hell" ist schließlich eine Art semimusikalisches Hörspiel, das die Zeit darstellt, in der Eva das Evangelium schon gehört hatte und nun im Begriff war, mit ihrem alten Leben abzuschließen. Dabei wird auf dem rechten Lautsprecherkanal (auch hier herrscht wieder Kopfhörerpflicht!) die frohe Botschaft immer wieder abgespult ("Jesus is the King of kings / Jesus is the Lord of lords..."), während andere Stimmen auf dem linken Kanal den Suizid vorschlagen ("Take up that knife / end what you feel..."). - Und in der Mitte der verwirrte Sprechgesang der Erzählerin, der sozusagen zwischen gut und böse schwankt - der Hörer wird sich also ziemlich gut in Evas damalige Situation hineindenken können. Minutenlang spitzt sich das Stimmengewirr, begleitet von allerhand Samples, zu, bis die Protagonistin schließlich den entscheidenden Schritt tut und mit einem einzigen gebrüllten "Jesus!" sämtliche anderen Geräusche zum Schweigen bringt (Eva Os letzte "geistliche Attake" soll übrigens wirklich mit einem solchen Schrei geendet haben) - und dann folgt der Übergang zum opulenten letzten Stück "Stand before the Light" (hier fühle ich mich an Saviour Machines "Legend"-Trilogie erinnert), das quasi einen, wenn auch kurzen, positiven Gegenpol zum Rest des Albums darstellt.

"I stand before the light / not what we say, but what He says is right" - gut. Bleibt nur noch die Frage, ob dieser Satz genug Kraft besitzt, um alles bisher gesagte, vor allem die eher gotteslästerlichen Aussagen am Anfang des Albums, zu relativieren. So mancher würde diese Frage sicher mit einem "Nein" beantworten.... Es macht jedenfalls Hoffnung, zu wissen, dass ein zweiter Teil der Geschichte (mit dem Titel Salvation: Are You Ready to Die?) in Planung ist, so dass wir mit diesem etwas unsensiblen, abrupten Ende der Geschichte (nach einem weiteren "Jesus is the King of kings..."-Chorus endet die CD nämlich) nicht ganz allein gelassen werden.

Insgesamt ist Damnation: Ride the Madness als vertonte Autobiographie ein gewagtes und eigenwilliges Projekt, mit dem die exzentrische Künstlerin musikalisch mehr denn je experimentiert und auch textliches "Neuland" erschließt. Für Zartbesaitete ist die CD auf keinen Fall etwas; solchen sei am ehesten noch das Album From the Heart ans Herz gelegt. Die relative Kürze der vorliegenden Scheibe wird durch den geringen Preis, für das es z.B. von der Stephans-Buchhandlung angeboten wird, wieder wettgemacht. Die Produktion ist wieder einmal vorbildlich, und auch die anderen partizipierenden Musiker und stimmlichen Talente können sich hören lassen. Ein Kritikpunkt, der mir spontan einfällt, ist der, dass ich nicht verstehe, wie man jemanden wie Eric Clayton für eine CD ans Mikro holen kann, um ihn dann kein einziges Mal singen, sondern nur sprechen und flüstern zu lassen. Desweiteren könnte man sich, wie bereits angedeutet, gerade bei Evas Darstellung ihrer satanistischen Zeit, mehr Distanz zwischen der Erzählerin und der erlebenden Figur wünschen.

Patrick Maiwald, 01. 12. 2004

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=> Eva O (Homepage)

=> Eva O / Halo Experience - Demons Fall for an Angel's Kiss (Rezension)
=> Shadow Project - From the Heart (Rezension)
=> Eva O / Mz O and Her Guns - Damnation / Salvation (Rezension)