Politisch betrachtet ist Guido Westerwelle wenig mehr als ein liberaler Pausenclown. Nichtsdestotrotz – oder vielleicht gerade deshalb? Seit jeher war es das Amt des Narren, Wahrheit zu künden - hat er es geschafft, ein Zitat von sich zu geben, das eines schönen Tages, wenn die Große Koalition hoffentlich den Weg alles Irdischen gegangen ist, als unvergängliches Wort den vergänglichen Staub überstrahlen wird.

Folgendes hat er auf dem Parteitag der Liberalen zum Besten gegeben: "Man hat den Eindruck, wenn man Frau von der Leyen so reden hört, dass der nächste Bundesadler durch einen Storch ersetzt werden solle". Wie gesagt: Auf dem Parteitag der Liberalen. Nicht gerade der politische Megaevent, aber trotzdem ein Zitat, das man allen Beteiligten in die Ohren dröhnen sollte.

Denn Guido Westerwelle hat Recht: Scheinbar gibt es kein anderes Thema mehr als den leidigen Klapperstorch und seine vermeintliche Weigerung, den Deutschen deutsche Kinder zu bescheren. Man kann fragen, wo man will: Von soziologischen Apokalypsepredigern wie Prof. Miegel bis hin zu an sich unlesbaren Pamphleten wie dem "Wetzlarer Kurier" gibt es nur das eine beherrschende Thema: Deutschlands Frauen setzen zu wenig Kinder in die Welt.

Flankiert wird diese Ansicht von Zitaten mehr oder weniger prominenter Frauen, die auf einmal die Freuden der Mutterschaft für sich entdecken und gar nicht verstehen können, dass irgendeine Frau dieser Welt das anders sehen könnte (und wenn, dann hat sie ihre Weiblichkeit verfehlt oder aber sie ist eine Rabenmutter), aber auch von lustigen Liberalen wie dem amerikanischen Autor Phillip Longman, der allen Ernstes eine Rückkehr des Patriarchates erwartet und der damit breites Gehör findet. Seine ebenso eingängige wie simple These lautet: Weil in patriarchal geprägten Familien/Kulturen mehr Kinder geboren werden als in liberal/emanzipatorisch eingestellten, wird sich das Patriarchat aus rein quantitativen Gründen in absehbarer Zeit als die beherrschende Familien- und Gesellschaftsform durchsetzen. Also – so kann man folgern – also bleibt der emanzipierten Frau nur die Wahl zwischen Skylla und Charybdis, zwischen der freiwilligen Geburt möglichst vieler Kinder (die sie dann emanzipatorisch erziehen kann) oder der gezwungenen Übernahme des Patriarchats (weil es irgendwann keine andere Möglichkeit mehr gibt).

Klingt bestechend. Für die Machos dieser Welt vielleicht sogar verführerisch. Und für die, denen es um die Sicherung des Sozialstaates, die Aufrechterhaltung des Generationenvertrages und die Fortschreibung der Mär von den sicheren Renten geht, mag dieses reines, lauteres Evangelium sein. Dann noch schnell ein Blick auf Frau von der Leyen und ihre imposante Kinderschar, und fertig ist der Traum von der Großfamilie, der zugleich einen familienpolitischen Salto Mortale in die seligen 50er Jahre darstellt.

Höchste Zeit, dass jemand "Nein" schreit und den fragilen Bundesadler gegen den reanimierten Klapperstorch verteidigt. Höchste Zeit, dass man mündigen Bürgern zugesteht, ihre Lebens- und Familienplanung eigenverantwortlich zu gestalten - und das, ohne dass ständig irgendwer teigig-moralisch rummäkelt. Höchste Zeit auch, den immer mal wieder auftauchenden Spuk, der da Patriarchat heißt, in seine Schranken zu weisen. Auf Dauer werden es die Frauen sein, mit deren Einsatz gegen das Patriarchat auch der religiöse Fundamentalismus in die Schranken gewiesen wird – nicht umgekehrt.

Und deshalb einfach mal ein paar Fakten: Überall auf der Welt ist Überbevölkerung ein Problem. In perspektivischer Sicht werden Rohstoffmangel, Energiebedarf, Bedarf an Nahrungsmittel, Bedarf an Trinkwasser, Bedarf an Wohnraum und Bedarf an Arbeitsplätzen ein Maß erreicht haben, das alles, was möglich ist, sprengt. Allein schon aus diesem Grund sollte eine Regierung froh sein, wenn die Bevölkerung eines Landes nicht steigt, sondern fällt.

Dass sinkende Geburtenzahlen schon seit Jahren den lange Zeit heftig umkämpften Wohnungsmarkt enorm entlastet haben, mag Wohnungsbesitzer und Spekulanten ärgern – die Mieter allerdings freut es sehr. Und die sind deutlich in der Mehrheit.

Dass sinkende Geburtszahlen früher oder später auch den Arbeitsmarkt entlasten werden – optimistische Schätzungen gehen von Vollbeschäftigung etwa im Jahr 2030 aus – ist auch keine unsympathische Begleiterscheinung.

Dass es darüber hinaus unmöglich und m.E. auch unverschämt ist, in die Lebensplanung einer Familie hineinregieren zu wollen, kommt noch dazu.

Und dass das Klima in unserem Land alles andere als familienfreundlich ist, kann man zusätzlich anmerken.

Natürlich – und das ist die Frage, mit der dann alles andere abgewürgt ist – natürlich gibt es den alarmierenden Umstand, dass unser Rentensystem so gebaut ist, dass die, die arbeiten, für die, die nicht arbeiten, einfach zur Kasse gebeten werden. Und natürlich verschiebt sich die Alterspyramide von jung zu alt immer mehr.

Daraus nun freilich den Schluss zu ziehen, dass unsere Gesellschaft untergeht, wenn nicht bald wieder mehr Kinder geboren werden, ist eine falsche Lösung für ein richtiges Problem. Denn natürlich ist es gut und richtig, wenn Menschen ab einem bestimmten Alter aus dem Erwerbsleben ausscheiden können. Damit freilich scheiden sie ja nicht aus der Arbeit aus. Eine Vielzahl sozialer, kirchlicher und auch familiärer Arbeiten wäre ohne das ehrenamtliche Engagement von Menschen, die aus dem Erwerbsleben ausscheiden, überhaupt nicht vorstellbar. Was hier allein an Arbeitsstunden geleistet wird, dürfte in Geld nicht mehr zu bezahlen sein.

Doch auch dann, wenn man diesen Umstand beharrlich ignoriert und ausschließlich auf die Kosten von Rente und Pflege schielt, kann man nicht umhin, zu erkennen, dass das Problem auf einer anderen Ebene liegt. Zu hinterfragen ist – und das sehr schnell und mit großem Nachdruck – das Modell des Generationenvertrages dahingehend, dass es nicht sein kann, dass zur Finanzierung der sozialen Systeme ausschließlich auf die Abgaben derjenigen, die Arbeit haben, zurückgegriffen wird.

Alle Formen von Einkommen müssen in angemessener Weise für die Finanzierung der sozialen Systeme herangezogen werden. Und alle heißt wirklich alle. Dann wird mit der Frage der Kosten sehr schnell auch der Ruf nach dem Klapperstorch erledigt sein.

Heiko Ehrhardt


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