Am Samstag war es wieder einmal soweit: Paketboten, die zu nachtschlafender Zeit an Wohnungstüren klingelten, Buchläden, die in aller Herrgottsfrühe phantasievoll verkleidete Kinder zum Frühstück luden, Pressenotizen, die sich förmlich überschlugen und breites Grinsen auf den Gesichtern derjenigen, die ihr Geld mit dem Verkauf von Büchern verdienen.

Also einmal mehr "Potter-Mania".

Einmal mehr ein neuer Harry-Potter-Band. Ein Buch, das die Rekorde purzeln lässt und der inzwischen doch etwas abgeschwächten perfekten Entertainmentwelle wieder auf die Beine hilft. Alle, wirklich alle, lieben Harry Potter und schlagen deshalb zu, sobald ein neuer Band, ein neuer Film, ein neues Utensil erscheint.

Alle?
Wirklich alle?

Nein!

Ein kleiner, unbeugsamer Kommentator zumindest verweigert sich der allgemeinen Potterhysterie und ist nicht bereit, jeden Mist aus dem Hause Rowling zu einer literarischen Offenbarung hoch zu loben. Denn der Berg, der in diesem Fall eine überraschend kurze Zeit kreißte, gebar ein garstiges Mäuslein, ein Werk, das "Gurke" zu nennen mir wohl die komplette Interessenvertretung der deutschen Gurkenbauern (falls es so was gibt) an den Hals befördern würde.

Anders als beim fünften Band, der schlicht und einfach langweilig war und den zu lesen alles mögliche war, nur keine Freude, hat Frau Rowling diesmal nicht mangelnde Qualität durch überbordende Quantität kaschiert. "Was? Nur 650 Seiten?" - diese ungläubige Frage meiner Tochter spricht Bände. Aber auch 650 Seiten können zur Qual werden, wenn sie so langweilig sind, wie dieses Buch.

Worum geht es?
Potterfans, aufgepasst: Harry bestreitet sein nunmehr sechstes Schuljahr in Hogwarts. Dort lernt er mehr oder weniger widerwillig, legt sich mit dem fiesen Snape und dem ebenso fiesen Draco Malfoy an, spielt Quidditch, besucht den immer noch gutmütigen Riesen Hagrid, ärgert sich über den Unterricht, es gibt einen neuen Lehrer für "Verteidigung gegen die magischen Künste" und ein großes Rätsel, das über allem schwebt. Dies wird in bewährter "TKKG meets Hanni und Nanni"-Manier (diese Kombination der klassischen Jugendbuchelemente "Internatsroman" und "Detektivroman", versetzt in magisches Gefilde, ist die wohl bleibend originelle Leistung von Frau Rowling) vom Trio Harry, Hermine, Ron angegangen und am Ende gelöst. Nicht, ohne dass jemand auf der Strecke bleibt - der showdown immerhin ist mäßig spannend, wenn auch nicht überraschend.

Dann wäre noch zu erwähnen, dass Harry immer noch pubertiert, immer noch nichts "richtiges" mit einem Mädchen hat und dass nach wie vor die Bösen leicht an ihrem Aussehen zu erkennen sind. Was aber wiederum nur einer Minderzahl auffällt - speziell das Ministerium ist immer noch atemberaubend dumm. Dabei war doch erst im fünften Band Voldemort mitten im Ministerium aufgetaucht... Man stelle sich einmal Osama Bin Laden auf der Kuppel des Reichstages vor, offen und für alle sichtbar - so dumm können nicht mal Politiker sein, dass sie dann noch die Fakten ignorieren.

Nicht so bei Harry Potter. Dort sind und bleiben die Charaktere Holzschnitte. Wäre das Ganze eindeutig als Märchen deklariert, ginge das ja noch in Ordnung (niemand muss im Märchen begründen, warum die böse Hexe böse ist - sie ist es einfach). Aber in einem Buch, das immerhin den Anspruch hat, eine Art Entwicklungsroman zu sein und das immer wieder munter alle möglichen aktuellen Fragen einmengt (speziell die Frage des Rassismus steht beherrschend im Raum) ist die Charakterzeichnung einfach zu schwach. Und da das Ende so ist, dass die "Achse der Guten" ihres besten Mannes beraubt wird und zugleich deutlich wird, dass Harry nicht einmal die Macht hat, sich zu rächen, trudeln wir entweder auf ein bad end zu, oder aber Band 7 wird nur noch unlogisch enden.

Denn das Eine kann ich allen Potterfreaks heute schon versprechen: Am Ende wird Harry Voldemort besiegen.
Wer Spannung und Logik erledigt, sollte auch das schaffen.

Heiko Ehrhardt


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